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Radikale Islamisten kontrollieren Malis Norden

October 04, 2012
located:Mali
by:Blog: Gesellschaft für bedrohte Völker
Malis Ministerpräsident Diarra spricht von den schwierigsten Zeiten in der Geschichte seines Landes: Islamistische Rebellen haben die Macht im Norden von Mali an sich gerissen und setzten mit aller Gewalt die Scharia durch.

Ulrich Delius von der Gesellschaft für bedrohte Völker gibt im Interview eine Einschätzung der dramatischen Situation im westafrikanischen Staat.

Wie ist die Lage aktuell im Norden Malis?

Die Lage ist unübersichtlich, aus Sicht von Menschenrechtlern katastrophal. Es gibt ein wahnsinnig starkes Vordringen von radikalen Islamisten. Sie haben einen Aufstand, der zunächst von den Tuareg getragen wurde, für sich instrumentalisiert und kontrollieren nun zwei Drittel des Landes. Unter ihrer Herrschaft gibt es massive Übergriffe auf die Bevölkerung, es wird überall Scharia eingeführt und die Frauen sind angehalten nicht mehr unverschleiert auf die Straße zu gehen. Bei Verstößen gibt es Inhaftierungen oder Amputationen von Händen und Füßen im Falle von Diebstählen. Diese Verhältnisse sind nicht nur vom europäischen Standpunkt ein Schock, sondern auch in Mali.

Was ist vom UN-Sicherheitsrat zu erwarten?

Mali drängt sehr stark darauf, dass die internationale Gemeinschaft dem Land helfen soll. Aber im Land selbst herrscht Uneinigkeit. Es gibt tiefe Brüche in der Armee selbst und zwischen Armee und Regierung. Die internationale Staatengemeinschaft möchte natürlich helfen, aber wenn sie keine Vorgaben der malinesischen Regierung bekommt, ist es schwer aktiv zu werden. Es gibt ein Geschachere darum, wie die ECOWAS (Westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft) in Erscheinung tritt. Angedacht waren zuerst 3.300 Soldaten, mit denen die Regierung wieder die Oberhand über das Territorium erhalten sollte. Vor Kurzem hat man sich aber darauf geeinigt, dass die Soldaten nur logistisch aktiv sein sollen. Die UN-Vollversammlung berät derzeit zusammen mit der Staatengemeinschaft und der ECOWAS, wie man im Sahel die Sicherheit herstellt und die radikalen Islamisten zurückdrängt.

Warum ist es so schwierig, gegen die Islamisten anzukommen?

Viele Experten warnen davor, eine militärische Intervention ins Blaue hinein zu machen. So hat die präsenteste der Radikalislamisten, die AQMI, bereits gute Kontakte zu den lokal ansässigen Menschen geknüpft und sich teilweise in die Clans eingeheiratet. Sie sind nach außen hin nicht sichtbar und man weiß gar nicht, gegen wen man eigentlich Krieg führt. Das Erschreckende ist, dass der harte Kern dieser Gruppe eigentlich nur aus etwa 400 bis 500 Leuten besteht, diese aber etwa 5.000 Söldner um sich gescharrt haben. Die sind keine Überzeugungstäter, sondern sind dort wegen des Geldes, das hauptsächlich aus Geiselnahmen an Europäern oder aus dem Drogenhandel stammt. Man muss erkennen, dass die kleine Gruppe die große Gruppe nur mit Geldzahlungen bei der Stange halten kann.

Deshalb auch die Forderungen an europäische Länder, keine Lösegelder mehr zu zahlen.

Man hat da ein Monster geschaffen, indirekt durch Lösegeldzahlungen in Höhe von mehreren Dutzend Millionen Euro in den letzten zehn Jahren. Dadurch wird nicht nur die AQMI genährt, sondern auch der Feind, der am Ende wieder bekämpft werden muss. Es ist zwar hart für diejenigen, die eine Geiselnahme trifft, aber alles andere als ein Stopp wäre eine Einladung zur Geiselindustrie.

Welche Forderungen hat die Gesellschaft für bedrohte Völker, um die Lebensbedingungen der Menschen im Mali zu verbessern?

Eine Militärintervention ist wohl kaum zu verhindern. Es ist der einzige Weg, um den Einfluss der radikalen Gruppen einzudämmen. Der Schutz der Zivilbevölkerung muss dabei aber absoluten Vorrang haben. Durch den Einsatz von Drohnen werden zivile Opfer zu beklagen sein, weil den Islamisten gerade in ländlichen Regionen ihre Absicht nicht auf den Rücken geschrieben steht. Wenn man AQMI wirklich effektiv bekämpfen will, muss man aber den Geldfluss stoppen. Allerdings braucht man auch einen realistischen Blick auf die Region – auch Grauzonen müssen trockengelegt werden. Es gibt keine Guten und Bösen. Es gibt viele Kooperationen zwischen der AQMI und Offizieren oder Polizisten, die sich gegenseitig dulden und sogar Waffen- oder Drogengeschäfte abwickeln. Man muss auch dem Machtmissbrauch und der Korruption auf den Grund gehen, wenn man AQMI entscheidend eindämmen will.

Das Interview führte Matthias Wahsner.

Foto: Magharebia

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